Experteninterview zum Tag des Stillens am 20. Mai

Ein Gespräch mit Anna Kerkow, Stationsleitung und Hebamme im Altmark-Klinikum Gardelegen

Schon gewusst? Stillen schützt Ihr Baby: Zum Beispiel vor Ohrinfektionen, Allergien, Durchfall, Lungenentzündungen und anderen Krankheiten im Kindesalter. Daher wird das Stillen von Medizinern und Hebammen als erste und beste Ernährungsform für Neugeborene empfohlen. 

Frau Kerkow, stellen Sie doch bitte einige Vorteile des Stillens vor:  
1) Stillen stärkt die Bindung zu dem Kind durch Hautkontakt. Hormone fördern die emotionale Bindung zwischen Mutter und Kind. 

2) Stillen hilft dem Körper, sich zu regenerieren. Beim Stillen wird das Hormon Oxytocin ausgeschüttet. Dieses Hormon regt die Kontraktion der Gebärmutter an, bis sie wieder die Größe erreicht, die sie vor der  Schwangerschaft hatte. 

3) Stillen spart Zeit, Geld und schont die Umwelt. Muttermilch ist immer verfügbar, richtig temperiert und hygienisch "verpackt". 

4) Stillen bringt mehr Widerstandsfähigkeit. Babys sind durch die Muttermilch weniger anfällig für Asthma, Magen-Darm-Erkrankungen, Infektionen sowie Allergien. Auch das Risiko für den plötzlichen Kindstod ist geringer. 

5) Stillen verbessert die Entwicklung. Durch das Saugen an der Brust entwickeln Babys eine stärkere Muskulatur an Hals und Kopf. Fehlstellungen an Gaumen und Kiefer werden vorgebeugt, was zudem die Sprechentwicklung begünstigt. 

6) Stillen vereinfacht das Füttern fester Nahrung. Stillkinder sind bereits an den wechselnden Geruch und Geschmack der Muttermilch gewöhnt. Das, was Mama isst, wirkt sich nämlich auch auf den Geschmack der Milch aus.

Wann beginnt die Milchbildung? Bzw. wie lange dauert es, bis die Milch zur Verfügung steht? 
Die Vormilch (Kolostrum) ist ein Vorstadium der reifen Muttermilch. Ab dem 4. bis 5. Schwangerschaftsmonat ist die Brust auf die Vormilchproduktion eingestellt. In einigen Fällen können einige Tröpfchen aus der Brustwarze austreten. Dadurch wird die Ernährung des Kindes bei einer Frühgeburt gewährleistet. Die Geburt ist dann das Signal für den „Milcheinschuss“. Etwa zwei bis vier Tage nach der Geburt des Kindes wird sich die Brust ganz automatisch auf die Produktion von Muttermilch umstellen. In dieser Phase verändert sich die Zusammensetzung der Milch: Aus der Vormilch wird eine Übergangsmilch, die anschließend von der reifen Muttermilch abgelöst wird. 

Wann weiß die Mutter, ob das Kind genug getrunken hat? Gibt es einen Maßstab? 
Es gibt 5 Anzeichen, dass das Baby genug Milch bekommt:
1) Mindestens 6 nasse Windeln pro Tag. Ab dem 7. Lebenstag sollte das Baby mindestens 4 bis 6 schwere Einmalwindeln oder 6 bis 8 nasse Stoffwindeln pro Tag produzieren. Der Urin eines gesunden Babys ist klar und geruchslos.

2) Hörbares Schlucken: Wenn das Baby an der Brust ist, sollte man hören können, wie es schluckt. Tipp: Das Schlucken klingt wie ein gehauchtes "K".

3) Entspannte Händchen Wenn ein Baby satt ist, ist es entspannt. Ist es hungrig, verhält es sich unruhig und angespannt. Hat es Hunger, ballt es die kleinen Händchen zu Fäusten zusammen. Bekommt es also Nahrung, öffnen sich die kleinen Fäustchen langsam.

4) Stuhlgang: Ab dem 4. Lebenstag sollte ein Baby täglich etwa 3 bis 5 Windeln mit eine etwa eurostückgroße Menge Stuhlgang haben. Nach der vierten Lebenswoche kann die Häufigkeit des Stuhlgangs sehr variieren.

5) Gewichtszunahme: Die Gewichtszunahme des Kindes wird regelmäßig von der Hebamme oder dem Kinderarzt bzw. der Kinderärztin kontrolliert. Die Gewichtszunahme ist aber sehr individuell und kann im Zusammenhang mit den anderen Anzeichen Aufschluss auf die Milchmenge geben. 

Wie oft wird gestillt? Wie lange trinkt ein Baby? 
Stillen nach Bedarf kennt keine zeitlichen Grenzen und richtet sich ganz nach dem individuellen Bedürfnis des Kindes. Anfangs braucht ein Stillkind ungefähr 8 bis12 Mahlzeiten in 24 Stunden, später können es 
auch weniger sein. Es gibt Kinder, die sehr kräftig saugen und in kurzer Zeit viel Milch trinken. Dadurch sind sie eine Weile satt. Andere Babys nuckeln lange und genüsslich oder melden sich bereits nach kurzer Zeit wieder. Besonders abends möchten viele Kinder sehr oft und lange an der Brust saugen (sogenanntes Clusterfeeding). Das bedeutet nicht, dass die Mutter zu wenig Milch hat – das Kind kann sich durch das Saugen einfach besser beruhigen. 

Wie ernähre ich mich als Mutter während der Stillzeit?  
Eigentlich braucht sich eine stillende Mutter nicht anders zu ernähren als außerhalb der Stillzeit. Sie soll gesund, abwechslungsreich und nach Appetit essen. Stillende Mütter haben einen erhöhten Bedarf an Energie und Nährstoffen. In der Stillzeit benötigt der Körper in etwa 500 bis 600 Kilokalorien mehr pro Tag. Es kann durchaus sein, dass der Körper dadurch mit ordentlichem Appetit reagiert. Und das ist 
auch gut so denn der Körper zeigt an, was er in dieser speziellen Situation braucht. Mit dem Stillen entsteht auch ein Mehrbedarf an Wasser und das Durstgefühl der Mutter stellt sich automatisch ein. Durchschnittlich trinken Babys zirka 0,8 Liter täglich. Dieser zusätzliche Flüssigkeitsbedarf muss natürlich über vermehrtes Trinken gedeckt werden. Die stillende Mutter sollte nach Durst trinken, denn auch hier zeigt der Körper an, was er in dieser Situation braucht. 

Wie lange sollte das Kind gestillt werden?  
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt, Kinder in den ersten 6 Lebensmonaten ausschließlich zu stillen. Danach sollten sie geeignete Beikost erhalten und parallel weiter bis zum Alter von zwei 
Jahren oder länger gestillt werden und dies gilt für Familien auf der ganzen Welt, nicht nur in Entwicklungsländern. Das Ende der Stillzeit ist aber sehr individuell und hängt von vielen Faktoren ab. 
Beispielsweise sind Stillprobleme, die Einnahme bestimmter Medikamente oder die Wiederaufnahme der beruflichen Tätigkeit nur einige Gründe für Mütter, die Stillzeit zu beenden. Die meisten Kinder, die über die Dauer ihrer Stillzeit frei entscheiden dürfen, stillen sich im Alter von zwei bis vier Jahren selber ab. In gesundheitlicher Hinsicht ist das Langzeitstillen ausschließlich mit Vorteilen, sowohl für die Mutter als auch für das Kind, verbunden. Nachteile sind hingegen, dass das Stillen zu Einschränkungen führt wie bspw. schwer in das Berufsleben einzubinden oder keine Möglichkeit zur längeren Trennung zwischen Mutter und Baby.

Welche Ammenmärchen rund ums Stillen sind Ihnen als Hebamme bekannt? 
1) Stillen ist Instinkt. Wenn eine Mutter stillen möchte, dann klappt das auch. Falsch! Stillen ist kein Instinkt, sondern eine sozial erlernte Fähigkeit. In unserer Gesellschaft fehlen Vorbilder. Stillen ist wie Tanzen: es gibt Naturtalente, die finden sich und tanzen einfach los. Die Meisten benötigen jedoch eine Anleitung und ausreichend Übung. 

2) Die Brust ist zu klein oder zu groß zum Stillen. Falsch! Entscheidend für die Stillfähigkeit ist das Brustdrüsengewebe. Die Größe der Brust ist abhängig von der Menge des Fettgewebes. So kann eine kleine Brust genauso viel Drüsengewebe enthalten wie eine große Brust. 

3) Stillende dürfen keine blähenden Lebensmittel essen. Falsch! Experten sind sich einig, dass blähende Stoffe nicht in die Muttermilch übergehen. Sicher ist jedoch, dass Aromen wie Knoblauch oder Spargelgeschmack in der Milch nachweisbar sind. Blähungen und Bauchschmerzen werden eher durch die Unreife des kindlichen Darmes hervorgerufen. 

4) Sport macht die Milch sauer. Falsch! Stillende Mütter dürfen natürlich Sport treiben. Am besten ist ein langsam aufbauendes Training. Sehr exzessiver Sport kann den Geschmack der Milch allerdings tatsächlich etwas verändern. Das ist jedoch nicht gesundheitlich beeinträchtigend für das Baby. Die Milch ist weder schlecht, noch sauer. 

5) Stillen führt zu Haarausfall. Falsch! Während der Schwangerschaft ist alles auf Erhalt angelegt. Der normale Haarausfall geht dadurch zurück. Zirka 3 Monate nach der Geburt ändert sich dies wieder, 
aufgrund der Beendigung der Schwangerschaft, unabhängig vom Stillen. 

6) Durch Stillen bekommt man Hängebrüste. Falsch! Die Form der Brust ist genetisch festgelegt. Die Brust wird in der Schwangerschaft auf das Stillen vorbereitet, diese Veränderung passiert unabhängig vom Stillwunsch der zukünftigen Mutter. Nach dem Abstillen – egal, ob sofort nach der Entbindung oder Monate danach – dauert es einige Zeit, bis das Drüsengewebe sich zurückgebildet hat und wieder mehr Fett eingebaut wird. Dann hat die Brust wieder ihre Form. 

7) Frauen sind schlechte Mütter, wenn sie nicht stillen. Falsch! Keine Frau ist verpflichtet zu stillen, wenn sie sich nach guter Information anders entschieden hat. Stillen erleichtert die Mutter-Kind-Bindung, ist aber keine Garantie. Bindungsförderndes Flaschengeben kann für Familien eine Alternative sein. 

Fun Fact: Können Männer stillen? Oder ist und bleibt Stillen reine Frauensache?
Es gibt Beweise, dass auch Männer theoretisch stillen können. Aber, aus wissenschaftlicher Sicht ist diese Sache allerdings nicht ganz so klar. Evolutionstheoretiker Charles Darwin beschrieb bereits 1871 in seinem Buch ‚Die Abstammung des Menschen‘: „Es ist bekannt, dass bei den Männchen aller Säugetiere, einschließlich des Menschen, rudimentäre Mamma (lat. für weibliche Brust) existiert. In mehreren Fällen sind diese gut entwickelt und können auch reichlich Milch produzieren.“ Der deutsche Naturforscher Alexander Humbold berichtet von einem „echten“ Fall: Ein Bauer namens Francisco Lozano soll seinen Sohn mit der eigenen Milch gestillt haben. Humbold schrieb: „Als die Mutter krank wurde, reichte Francisco Lozano dem Baby die Brust und stillte es fünf Monate lang 2- bis 3-mal täglich.“ Wie kann das sein? 
In den ersten Wochen der Schwangerschaft entwickelt sich jeder Mensch absolut gleich. Erst etwa in der 7. SSW bilden sich dann die spezifischen Geschlechtsmerkmale aus: Bei Jungen die Hoden und bei den Mädchen nach und nach die Eierstöcke. Brüste haben bis dahin schon beide – inklusive Brustdrüsen. Die sogenannte Hexenmilch beweist, dass diese geschlechtsunabhängig Milch produzieren können. Das Phänomen „Hexenmilch“ tritt bei manchen Neugeborenen auf. Man geht davon aus, dass die Babys durch die Nabelschnur weibliche Hormone der Mutter aufnimmt. Diese Hormone sollen die werdende Mutter bereits während der Schwangerschaft auf den späteren Stillprozess vorbereiten. Das führt manchmal dazu, dass der kleine Körper – egal ob männlich oder weiblich – nach der Geburt Milch produziert. 

Theoretisch haben also auch erwachsene Männer die Anlagen fürs Stillen. In der Praxis sind diese aber weder funktionsfähig noch voll ausgebildet. Dafür sorgt die Pubertät. Nur die weiblichen Sexualhormone sorgen dafür, dass sich die Brust und die Milchdrüsen weiter ausbilden. Milchmänner bleiben also doch nur ein theoretisches Konzept. 

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